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Social Startup definiert Luxus neu
Portmonaie von Urban Change Lab | Foto: Urban Change Lab

Social Startup definiert Luxus neu

20. Juni 2019

Die klassischen Statussymbole kommen aus der Mode. Immer weniger Menschen begeistern sich für schnelle Autos, teure Uhren oder Markenklamotten. Der neue Luxus ist Individualität, Entschleunigung und Nachhaltigkeit. So zumindest die These von Jochen Baumeister, der 2015 das Urban Change Lab ins Leben gerufen hat. Die Grundidee des Unternehmens, individuelle Einzelstücke in Auftragsarbeit anfertigen zu lassen, gibt es schon seit Jahrtausenden. Aber das konkrete Geschäftsmodell, das eine Brücke zwischen Afrika und Europa schlägt, ist erst durch die Digitalisierung möglich geworden. Wir haben mit dem Gründer über sein einzigartiges Business und seine Visionen gesprochen.

Beim Urban Change Lab können Kunden handgearbeitete Produkte in Afrika anfertigen lassen. Wie genau funktioniert das?

Das Ganze beginnt mit einer Idee des Kunden. Die kann sehr konkret oder aber auch gerade erst im Entstehen sein. Wir suchen dann einen passenden Handwerker in Ghana, Kenia oder Nigeria. Mit dem tritt der Kunde online über unsere Plattform in Kontakt. Fortan kann er den Entstehungsprozess von der Materialauswahl bis zum letzten Schliff durch Nachrichten, Fotos und Videos verfolgen. Jeder Arbeitsschritt muss erst vom Kunden freigegeben werden, bevor der nächste beginnt. So entsteht also in einem kommunikativen Ping Pong aus der Idee des Kunden und der Expertise des Handwerkers ein Einzelstück. Dank der Digitalisierung sind die 6.000 km Entfernung kein Hindernis. Smartphones sind in den meisten afrikanischen Regionen genauso verbreitet wie hier. Wir vom Urban Change Lab kümmern uns dann um Versand, Zoll und Geldtransfer.

Das hört sich aber deutlich zeitaufwendiger an als ein normaler Einkauf.

Auf jeden Fall, und das ist auch genau so gewollt. Dafür kann der Kunde seine Vorstellungen in den Entstehungsprozess einbringen. Er bekommt nicht nur eine neue Perspektive auf seine individuellen Bedürfnisse, sondern auch ein Gefühl dafür, wie lange es dauert, etwas herzustellen. Der persönliche Wert eines Produkts steigt, wenn man es mitgestalten kann. Wir vom Urban Change Lab empfinden das als den größten Luxus überhaupt. Und selbst ungeduldige Menschen müssen doch zugeben, dass es die besten Dinge sind, auf die man ein bisschen mit freudiger Neugier warten muss. Das gilt natürlich nicht für sowas wie Druckerpatronen, wohl aber für Sachen, die Bestand haben sollen, wie Lederhandtaschen, Schmuck oder Möbel.

Damentasche aus Leder | Foto: Urban Change Lab
Was kann man denn außerdem noch bei Euch anfertigen lassen?

Eigentlich alles, was man aus Holz, Stein, Metall oder Stoff herstellen kann. Zum Beispiel Portemonnaies, Skulpturen, Kleider, Tischdecken oder auch Besteckkästen. Die sind im Moment der Renner bei uns. Auf unserer Webseite gibt es alle der bisher angefertigten Produkte zu sehen, und auch deren Entstehungsgeschichte, da unser System für jeden Kunde zu seinem Projekt eine Webseite und einen Film zur Entstehungsgeschichte generiert. Außerdem kann man haargenau nachvollziehen, wie sich der Preis der Produkte zusammensetzt: wieviel Geld an den Handwerker geht und wie hoch der Anteil für Versand, Steuer und nicht zuletzt auch uns ist. Mehr Transparenz ist kaum möglich. Kleiner Spoiler: der Handwerker bekommt immer am meisten und der deutsche Staat mehr als das Urban Change Lab.

Konntet ihr bisher alle Kundenwünsche umsetzen?

Fast alle. Der einzige Wunsch, den wir trotz aller Bemühungen nicht realisierten konnten, war eine Ukulele. Dafür haben wir noch keinen passenden Handwerker finden können. Aber wir mögen kreative Herausforderungen und sind uns sicher, dass die spannendsten Produkte noch in den Köpfen unserer Kunden schlummern.

Wie sieht es denn mit Reklamationen aus? Ich kann ja nicht einfach so in Kenia in die Werkstatt laufen und mich beschweren.

Ja, das wird schwierig, und deswegen übernehmen das Beschweren wir, wenn es sein muss. Unser Office in Berlin ist jederzeit erreichbar. Wir kuratieren den gesamten Prozess und greifen bei Missverständnissen auch ein. Außerdem haben wir eigene Mitarbeiter vor Ort, die vor Versand der Ware eine Qualitätsprüfung durchführen. So können Mängel festgestellt werden, die der Kunde vorher auf Fotos oder Videos übersehen haben könnte. Das kommt allerdings nur sehr selten vor. Wenn das Produkt die Prüfung nicht besteht, wird nachgebessert oder sogar ein komplett neues Stück angefertigt. Die erste Version kann dann meist trotzdem noch auf dem afrikanischen Markt mit Abschlag verkauft werden. So geht nichts verloren.

Erscheinen die Wünsche der Kunden den Handwerkern teilweise skurril, oder sind das alles Sachen, die sie auch so für ihre Landsleute herstellen würden?

Die meisten Produkte sind in Afrika verbreitet oder zumindest bekannt. Doch auch dort kaufen die meisten Menschen eher einen Plastikbesteckkasten als einen maßgefertigten aus Zedernholz. Ab und zu gab es aber auch schon Ideen, die für die Handwerker neu waren. Ein Kunde hat z. B. im letzten Januar einen Adventskalender bestellt. Das kannte dort keiner, obwohl viele Menschen in Afrika natürlich Weihnachten feiern. Ein anderer Kunde wollte einen Buddha geschnitzt bekommen. Das fand er spannend, denn wer hat schon einen afrikanischen Buddha? Das war neu, ist aber auf große Begeisterung gestoßen. Der Handwerker hat im Anschluss noch zwei weitere Aufträge für einen afrikanischen Buddha für den kenianischen Markt bekommen. Mit der richtigen Idee kann man also von Deutschland aus Trendsetter in Afrika werden.

Siehst Du Eure Arbeit als eine Art von Entwicklungshilfe an?

Nein, zumindest nicht im klassischen Sinn. Hilfe heißt, dass der Mensch die Aktion dringend braucht. Das ist bei unseren Handwerkern in der Regel nicht der Fall. Sie sind allesamt Experten in ihrem Bereich, die in Afrika bereits ihr eigenes Business haben. Natürlich läuft das Geschäft bei dem einen besser als beim anderen. Die Lebenssituationen unserer Handwerker sind sehr unterschiedlich. Genau wie überall in der Welt. Aber auf existentielle Hilfe sind sie nicht angewiesen. Der Kunde soll nicht bestellen, weil er helfen möchte, sondern weil er ein hochwertiges, maßgefertigtes Produkt haben will, das in einem fairen Austausch entsteht.

Aber einen sozialen Anspruch hat das Urban Change Lab schon?

Sicher, wir sehen uns als Social Entrepreneurs. Unser Engagement ist auch politisch. Dafür steht das Change in unserem Namen.Wir wollen etwas verändern. Wir wollen eine bessere Welt. Und eine bessere Welt ist nur durch mehr Fairness zu erreichen. Allen Menschen auf der Welt soll es gleich gut gehen. Wir möchten gemeinsam mit unseren Kunden zeigen, wie man da hinkommen kann. (red)

Gründer Jochen Baumeister erklärt die Arbeit von Urban Change Lab vor Ort | Foto: Urban Change Lab