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Zwiegespräch zur Stadtentwicklung in Berlin – zwei Bezirke ziehen Bilanz
Florian Schmidt (B’90/ die Grünen), Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg und Frank Balzer (CDU), Bezirksbürgermeister von Reinickendorf, im Zwiegespräch. | Fotos: Florian Schmidt; BA Reinickendorf

Zwiegespräch zur Stadtentwicklung in Berlin – zwei Bezirke ziehen Bilanz

06. April 2020

Außenbezirk trifft auf Innenstadtbezirk, eine Bevölkerungsdichte von 2964 Einwohnern  pro Quadratkilometer auf eine Fläche von 14.246, schwarz auf Grün – die BERLINboxx hat Frank Balzer (CDU), Bezirksbürgermeister von Reinickendorf und den streitbaren Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (B’90/ die Grünen), zum Zwiegespräch über aktuelle Themen wie Mietendeckel und Verkehrskonzepte gebeten. Außerdem haben sie uns stadtentwicklungspolitische Erfolge und Misserfolge sowie die unterschiedlichen Bedürfnisse von Außen- und Innenstadtbezirk in einer Weltstadtmetropole verraten.

Kaum ein Thema bewegt Berlin aktuell mehr: der umstrittene und für fünf Jahre angesetzte Mietendeckel. Er soll die angespannte Wohnungslage in der deutschen Metropole entschärfen. Doch mehr und mehr stellt sich die Frage: Ist er die Lösung, um Wohnraum zu sichern und der stetig wachsenden Hauptstadt gerecht zu werden? Ist nicht der Neubau das eigentliche Thema in der hitzigen Wohnraumdebatte?

Frank Balzer: Ich teile die verfassungsrechtlichen Bedenken meiner Parteifreunde und bin davon überzeugt, dass der Mietendeckel das Gegenteil von dem bewirken wird, was angeblich damit bezweckt wird. Selbst im SPD-geführten Hamburg hält man nichts davon, weil ein politisches Klima, das Investoren aus ideologischen Gründen zu Feindbildern abstempelt, dazu führen muss, dass diese anderswo bauen. Nur gemeinsam mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften – und nicht etwa gegen diese – kann es gelingen, mehr und schneller zu bauen. In Reinickendorf wird nach der Schließung des Flughafen Tegel im Herbst 2020 das Schumacher-Quartier mit rund 5.000 Wohnungen das eindeutig größte Wohnungsvorhaben im Bezirk sein. Mit der Realisierung des Bauvorhabens Ulmenstraße (112 neue hochwertige Wohnungen) wird ein weiteres großes Vorhaben für den Wohnungsbau im Bezirk umgesetzt. In der Zukunft werden weitere folgen.

Florian Schmidt: Neubau nimmt auch in Friedrichshain- Kreuzberg einen gleichwertigen Platz im Dreiklang aus Mieterschutz, Kommunalisierung und Neubau ein, mit dem wir versuchen, den Mietmarkt zu entlasten. Im Neubau ist es jedoch wesentlich, dass keine hochpreisigen Eigentumswohnungen gebaut werden, sondern bezahlbare Wohnungen entstehen. Auf dem Dragonerareal wird der Anteil an geförderten Wohnungen höher sein als 30 Prozent und auch beim Postscheckamt konnten wir nach harter Auseinandersetzung erreichen, dass am Ende ein deutlicher Anteil an bezahlbaren Mietwohnungen entsteht.

Ein Problem, das mit dem florierenden Wachstum der Hauptstadt zusammenhängt, ist das hohe Verkehrsaufkommen. Berliner beklagen sich über tägliche Staus und überfüllte U- und S-Bahnen. Zwar sollen der Personennahverkehr und die Radinfrastruktur sukzessive ausgebaut werden, allerdings können diese Prozesse noch Jahre dauern. Kommt die Verkehrswende zu langsam?

Frank Balzer: Wer es ernst meint mit einer Verkehrswende, müsste doch eigentlich alles tun, um die Menschen vom Individualverkehr auf der Straße hin zum öffentlichen Nahverkehr – bestenfalls auf der Schiene – zu animieren. Davon ist in der Praxis herzlich wenig zu spüren. Berufspendlern werden weder ausreichend viele Park-and-Ride- Stellplätze geboten, noch der AB-Tarif so attraktiv ausgedehnt, dass Reisende aus Brandenburg mit dem Auto gar nicht erst ins Berliner Stadtgebiet fahren müssen. Dass zehntausende Menschen im Märkischen Viertel seit mehr als einem halben Jahrhundert vergeblich auf die Einlösung des Versprechens der Politik warten, die U-Bahnlinie 8 werde bis zu ihnen verlängert, ist ein weiteres enttäuschendes Beispiel. Immerhin gibt es nun Hoffnung: Nachdem ein Senatsgutachten Machbarkeit und Sinnhaftigkeit bestätigt hat und die Senatsspitze mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Verkehrssenatorin Regine Günther im Dezember die Bedingungen vor Ort in Augenschein nahm, hoffe ich auf Bewegung in der Sache. Eine Verlängerung der U8 bis zum künftigen Haltepunkt der Heidekrautbahn scheint auch für den Senat lukrativ.

Florian Schmidt: Friedrichshain-Kreuzberg ist der Bezirk, der mit großem Abstand die meisten Mittel für den Ausbau der Radinfrastruktur abruft. Vor allem beim Radverkehr kann der Bezirk selbst viel verbessern, da der Ausbau des ÖPNV in allererster Linie in der Zuständigkeit des Landes liegt. Seit der rot-rot-grünen Koalition und mit dem Mobilitätsgesetz sind endlich auch ausreichende Mittel vorhanden, um mit größeren Schritten voranzugehen.

Sowohl in Reinickendorf als auch in Friedrichshain-Kreuzberg bewegt sich einiges – wie überall in Berlin ist dort niemals stillstand. Wo sind aktuell die größten stadtentwicklungspolitischen Erfolge zu verzeichnen?

Frank Balzer: Ein Gewinn für den Bezirk und den Ortsteil Tegel wird die Ansiedlung der Deutschen Rentenversicherung an der dort derzeit neu entstehenden Gorkistraße sein. Neben der Neugestaltung dieser wichtigen Fußgängerzone mit dem bundesweit ersten Karstadt-Neubau seit 30 Jahren werden die zusätzlichen rund 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rentenversicherung sicher für den ersehnten Umsatz bei den Händlern und Gewerbetreibenden in der Nachbarschaft sorgen. Auch wenn sich die Fertigstellung der Gorkistraße damit etwas verzögert: Die Geduld wird sich auszahlen.

Florian Schmidt: Zusammen mit der Zivilgesellschaft entwickelt der Bezirk Instrumente und Strukturen zur Sicherung von bezahlbarem Mietraum, zur kooperativen Stadtproduktion und zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft. Hier bilden wir institutionell den Anspruch Friedrichshain-Kreuzbergs als Labor für eine neue Art des kooperativen Bauens und Planens im Sinne des Allgemeinwohls ab. Ein Problem bleibt, dass es auf Bundesebene zu wenig Bewegung gibt, um den Mieterschutz zu stärken, den Milieuschutz schlagkräftiger zu machen, ein soziales Gewerbemietrecht einzuführen oder entschieden gegen die Spekulation mit Immobilien und Share Deals vorzugehen. Die Folgen sehen wir täglich vor Ort.

Ein Problem, das beide Seiten haben: Oft wird kein Unterschied von Außen- und Innenstadtbezirk gemacht, obwohl doch sehr unterschiedliche Maßstäbe gelten müssten. Wie wird man beiden Seiten gerecht?

Frank Balzer: Tatsächlich wird vieles oftmals mit Maßstäben gemessen, die in der Innenstadt berechtigt sein mögen, in den Außenbezirken aber keinen Wert haben. Ich nenne das Beispiel der Radwege. Diese sollen in Reinickendorf die gleiche Wegbreite haben wie in der City, obwohl in den Außenbezirken naturgemäß mehr Menschen auf das Auto angewiesen sind. Die schon heute voll gestauten Hauptstraßen aus einer reinen Anti-Auto-Haltung heraus einzuengen und das Problem zu vergrößern, ist nicht unser Ansatz. Uns geht es um ein ausgewogenes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer und um attraktive Alternativen, die zum Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr verleiten.

Florian Schmidt: Friedrichshain-Kreuzberg als reiner Innenstadtbezirk kann nicht behaupten, zu viele Mittel zu erhalten. Insbesondere bei der Grünflächenpflege sind wir heillos unterfinanziert. Um dort nicht nur Sicherungs- und Reinigungspflichten zu erfüllen, sondern auch Zierpflege und Gestaltung möglich zu machen, ist eine bessere Mittelausstattung unerlässlich. Durch die hohe Beanspruchung und die vielen Nutzungskonflikte auf den Grünflächen sehe ich hier besonderen Handlungsbedarf. (aw)