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Stadt & Land – Vergabeverstoß und arglistige Täuschung beim Neubauprojekt Fürstenwalder Allee?
Das Neubauprojekt in der Fürstenwalder Allee in Treptow-Köpenick | BERLINboxx

Stadt & Land – Vergabeverstoß und arglistige Täuschung beim Neubauprojekt Fürstenwalder Allee?

19. März 2021

Führen Geschäftspraktiken des landeseigenen Wohnungsunternehmens Stadt & Land zur Rückabwicklung?

Die Verweigerung um die Rückgabe persönlicher Bürgschaften an einen Geschäftspartner zeigt bei der landeseigenen Stadt & Land ein zumindest fragwürdiges Verhalten auf beim fertiggestellten Projekt Fürstenwalder Allee am idyllischen Dämeritzsee.

Stadt & Land erwarb im Dezember 2015 von einem privaten Eigentümer die Grundstücke Fürstenwalder Allee 462, 470 und 472 in Köpenick. Ursprünglich wollte die OHG des Verkäufers ausschließlich das Grundstück verkaufen und keinerlei Bauverpflichtungen übernehmen. Insbesondere der Gesellschafter der Verkäufer sah das Grundstück als private Vermögensanlage für seine Familie. Die Stadt & Land GmbH drängte aber darauf, dass sie das Grundstück nur übernehmen würde, wenn es vom Verkäufer auch bebaut und schlüsselfertig mit vollständiger Bauleistung übergeben wird. Dabei wurde nach Aussage des Verkäufers diesem ausdrücklich versichert, dass durch die Abstimmung des Kaufvertrags auf den Generalunternehmervertrag für ihn und seine Familie keinerlei wirtschaftliche Risiken entstehen würden.

Insolvenz des Generalunternehmers

Die mögliche Verpflichtung zu einer Ausschreibung der Bauleistungen wurde durch die Stadt & Land GmbH ebenso wenig erwähnt oder erörtert wie die Gefahr und die möglichen Folgen einer Insolvenz des Generalunternehmers, obwohl die Stadt & Land GmbH davon Kenntnis hatte, dass der Verkäufer über keinerlei Erfahrungen im Immobiliengeschäft verfügte und Insolvenzen von Generalunternehmern in Berlin kein Einzelfall sind. Entsprechend enthielt der Kaufvertrag auch keine Regelung, was in einem solchen Fall zu tun sei. Der Verkäufer hat, ohne dass eine Ausschreibung der Bauleistungen im Vertrag geregelt war oder eine solche stattgefunden hat, die Firma ECB East Construction Baugroup GmbH, Berlin, mit der Durchführung des Bauvorhabens beauftragt. Gemäß Generalunternehmervertrag vom 27. März 2017 sollte sie für ihre Leistungen eine Vergütung in Höhe von EUR 26 Mio. brutto erhalten. Dabei erfolgt die Auswahl des Generalunternehmers in enger Abstimmung mit der Stadt & Land GmbH, die auch verschiedene Referenzobjekte potentieller Generalunternehmer besichtigte. Die ECB begann die Bauarbeiten, beantragte jedoch am 15. Januar 2019 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und konnte das Projekt nicht weiterführen. Dabei spielten finanzielle Belastungen aus dem Projekt durchaus eine Rolle, so die Verzögerung der Baugenehmigung und zwischenzeitlich eingetretene Preissteigerungen. Es stellte sich heraus, dass aufgrund der Insolvenz der ECB erheblich höhere Aufwendungen erforderlich würden, um den Kaufvertrag mit Bauverpflichtung zu erfüllen und das Projekt Fürstenwalder Allee fertigzustellen und dieses sich auch erheblich verzögern würde. Nach einer Berechnung vom 6. Februar 2019 belief sich die Differenz auf EUR 5,968 Mio. Davon wurden Einsparpotentiale für Vertragsstrafe, Parkett, Fliesen und Gewährleistung rechnerisch abgezogen. Nach Einschätzung der Rechtsanwaltskanzlei Malmendier Legal Berlin ist die Berechnung im Wesentlichen zutreffend und lag auch der Stadt & Land GmbH zum damaligen Zeitpunkt vor.

Abgewälzte Kosten

In den sich anschließenden Verhandlungen bestand die Stadt & Land GmbH nach Angaben des Verkäufers allerdings sehr dezidiert darauf, dass lediglich eine Deckungslücke von ca. EUR 3,1 Mio. zu unterstellen sei. Entsprechend sah der am 3. April 2019 abgeschlossene zweite Nachtrag zum Grundstückskaufvertrag lediglich eine Erhöhung des Kaufpreises um EUR 3.113.592,89 vor. Dazu wurde ausdrücklich festgehalten, es handele sich um eine Berechnung der OHG als Verkäufer, die ganz alleine das Risiko eines Kalkulationsirrtums oder zusätzlicher Mehrkosten zu tragen habe. Gleichzeitig wurden verschiedene Vertragsklauseln, nach denen der OHG ggf. zusätzliche Forderungen zugestanden hätten, gestrichen. Der „späteste Fertigstellungstermin“ wurde auf den 11. November 2019 verschoben, die Vertragsstrafe auf EUR 18.307,00 pro Kalendertag, maximal EUR 915.350,00, angehoben. Der persönlich haftende Gesellschafter der OHG musste gem. § 5.2 2. Nachtrag KV der Stadt & Land GmbH eine persönliche Bürgschaft zur Sicherung sämtlicher vertraglicher Ansprüche über EUR 3,6 Mio. stellen. Bis zu diesem Zeitpunkt war dieser persönlich rechtlich nicht involviert.

Vergabeverstöße und arglistige Täuschung

Ein unabhängiges Rechtsgutachten zum soeben fertiggestellten Neubau macht die fragwürdigen Geschäftspraktiken der kommunalen Wohnungsgesellschaft Stadt und Land GmbH, die Eigentümer der 216 Wohneinheiten ist, öffentlich. Das unabhängige Rechtsgutachten des renommierten Gutachters Prof. Dr. Frank-Rüdiger Jach zeigt eklatante Verstöße der Wohnungsbaugesellschaft gegen das Vergaberecht auf. Das Gutachten macht in diesem Zusammenhang sogar auf zivilrechtliche Folgen wegen „arglistiger Täuschung“ aufmerksam.

Die Fakten:

Die Branchenfremdheit des Grundstücksverkäufers, der im Kerngeschäft eine renommierte Werbegruppe betreibt, hat die Stadt und Land GmbH offensichtlich bei dieser für den Verkäufer existenzbedrohenden Vertragsregelung ausgenutzt. Der Vorwurf der „arglistigen Täuschung“ durch die Stadt & Land GmbH steht hier im Raum. Unabhängig von diesem strafrechtlichen Vorwurf muss man der landeseigenen Gesellschaft den Vorwurf eines unethischen Verhaltens machen.

In dem 51-seitigen unabhängigen Rechtsgutachten wird außerdem dezidiert nachgewiesen, dass bei der Vergabe des Bauauftrages gegen die Vergaberichtlinien 2004/18/EG und 2012/24/EU verstoßen worden ist. Im Ergebnis kommt der Rechtsprofessor zu folgender Feststellung: „Die Vergabe der Bauleistung ohne Ausschreibung stellt einen ein Verstoß gegen Vergaberecht dar. Die Stadt – und Land Wohnungsbautengesellschaft mbH ist ein nicht gewerblich handelnder öffentlicher Auftraggeber im Sinne des GWB und der Richtlinien 2004/18/EG 2014/24/EU. Die Stadt und Land Wohnungsbau-Gesellschaft mbH ist, wenn sie Wohnungsbauaufträge vergibt oder mit Wohnungen zu bebauende Grundstücke kauft bei einer umfassenden Gesamtwürdigung ihrer Geschäftstätigkeit und ihrer Struktur als juristische Person des Privatrechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, die durch die Gebietskörperschaft des Landes Berlin überwiegend finanziert wird und über diese Gebietskörperschaft die Leitung ausübt, wobei diese mehr als die Hälfte von Geschäftsführung oder Aufsichtsorgan berufen hat, einzustufen. Hinsichtlich des durch die nicht erfolge Anwendung des Vergaberechts erfolgten Schadens des Verkäufers ist möglicherweise ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegeben, da die einschlägigen Normen der Vergaberichtlinie zugunsten des Verkäufers drittschützende Normen darstellen und ein hinreichend qualifizierter Eingriff sowie ein ersatzfähiger Schaden vorliegen“.

Die Wohnungen in dem Neubauprojekt sind bereits bezogen. Foto: BERLINBoxx
Die Wohnungen in dem Neubauprojekt sind bereits bezogen. Foto: BERLINBoxx

Rückabwicklung und Klagewelle

Mit diesen Tatsachen konfrontiert antwortete die Stadt & Land auf unsere Presseanfrage knapp, dass „auf das zugrunde liegende Vertragsverhältnis das Vergaberecht nicht anzuwenden ist“. Stattdessen verweigert das kommunale Unternehmen die Schlussabnahme des Bauwerks und der Außenanlagen und verweigert ferner die Rückgabe der persönlichen Bürgschaft des Vertragspartners. Die Rückgabe der persönlichen Bürgschaft komme nur dann in Frage, wenn der Verkäufer auf alle Rechtsgestaltungsmöglichkeiten wie beispielsweise die Rückabwicklung verzichte! Hier wird offensichtlich ein sechsstelliger Betrag von der Stadt & Land zurückgehalten, um Druck auf den Geschäftspartner auszuüben. Dabei sind die Gebäude durch die neuen Bewohner bereits bezogen und werden auch entsprechend genutzt.

Fördermittel insolvenzbedroht?

Die Praktiken der Stadt & Land könnten nun auch die Berliner Parlamentarier beschäftigen, schließlich handelt es sich um eine landeseigene Gesellschaft, die auch für 69 Wohnungen Fördermittel aus dem Wohnungsbauförderungsprogramm 2016 des Landes Berlin für das Bauvorhaben in Anspruch genommen hat.

Rechtsexperten einer anderen renommierten Anwaltskanzlei können das unkooperative Verhalten der Wohnungsgesellschaft nicht nachvollziehen. Denn eines ist völlig unstrittig: Muss der Vertragspartner wegen der auf ihn abgewälzten Kosten Insolvenz anmelden, wird ein Insolvenzverwalter nicht nur bereits geleistete Zahlungen von der Stadt & Land zurückfordern, er wird dann auch den strittigen Vertrag rückabwickeln. Denn eines steht fest: Seit Verkauf des Grundstückes im Jahr 2015 ist der Neubau deutlich im Wert gestiegen. Sollte es zu einer Rückabwicklung kommen, wird sich das dubiose Verhalten der Stadt & Land zu einem Desaster für die landeseigene Gesellschaft entwickeln, was letzten Endes zu einer erheblichen Belastung der Steuerzahler führen kann. Es wird Zeit, dass sich die Politik, die im Aufsichtsrat der Stadt & Land vertreten ist, um diese Zustände kümmert. Ansonsten kann der Streit zu einem baupolitischen Skandal der regierenden Koalition im Wahljahr 2021 anwachsen. (red)